DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Ernste Spiele von Dark Future

Der Kritiker der Gesellschaft geht über das Objekt seiner Kritik manchmal hinaus und liefert dann ein Gegenmodell zu dem, was er verneint. In der extremsten Form ist das der Neue Mensch. Totalitäre Politiker versuchten, das Gegenmodell zu realisieren und gefährdeten dadurch die Menschheit. Der Neue Mensch muss dann ganz verschwinden, weil seine Spuren auch für die Nachfolgenden gefährlich sind. Vergleichsweise ungefährlich, dafür aber interessant ist der Neue Mensch, wenn ihn der intelligente Teil der Science-Fiction – Literatur - Dark Future – erfindet. ZB. La Mettrie, ein französischer Arzt, schrieb einst am Hof Friedrichs des Zweiten sein Buch „Mensch Maschine“. Oder: William Blake, ein englischer Kupferstecher, verwarf den Gedanken von La Mettrie, dass sich die Materie aus sich selbst heraus entwickelt, und sah einen Schöpfer an der Arbeit. Oder: Philip Dick, ein Kolportage – Autor in den USA, deutete Roboter – Menschen als zurück gekehrte Engel. Oder: Elon Musk, der Erfinder – Unternehmer aus dem Silicon Valley, finanziert heute die Entwicklung einer Maschine, die das denkende Gehirn mit einem Computer lückenlos verbindet.

Der in katholischen Schulbüchern einst verachtete La Mettrie fand keine Spuren des Schöpfers im menschlichen Körper und schloss es dennoch aus, dass ausgerechnet der menschliche Geist den Körper verbessern werde. Dazu war er offensichtlich zu sehr Arzt. Auch erblickte er im Denken – völlig richtig – eine Funktion der Materie. Er übersah allerdings, dass diese seelenlose Maschine auch den Schein einer Seele, und zwar den immer gleichen, bitter nötig hat, um das „kurze und mühselige Leben“ bis zum natürlichen Ablaufdatum qualfrei hinter sich zu bringen. Als Kind seiner Zeit, die die Epoche der Mechanik war, bemühte er sich, zu zeigen, dass die Funktionsabläufe im menschlichen Körper, hinter denen man göttliches Walten vermutet hatte, mechanische Vorgänge sind.

Jede Maschine läuft nach eindeutigen Regeln ab. Es ist keine Maschine denkbar, die ab dem Moment, wo ihr Energie zugeführt wird, auch anders ablaufen könnte als ihr Erfinder vorher bestimmt hat. Wenn sie falsch läuft, wird sie gleichzeitig kaputt. Im Leben der Menschen wird die Eindeutigkeit nicht erst dadurch vermehrt, dass die Menschen logisch argumentieren, sondern schon dadurch, dass der Einzelne eine Klingel betätigt, einen Startschlüssel umdreht oder einen Lichtknopf drückt. Wollte man den Weg zum Maschinen – Menschen im Sinne einer Dystopie beschleunigen, so müsste man sämtliche Mehrdeutigkeiten im Leben umgehen, ignorieren und ausmerzen. Das ist wahrscheinlich nicht leicht, doch Technik - Liebhaber bemühen sich.

Die Fantasie, die nur unterhalten will (die der Kulturindustrie), lockert nun die kalte, sterile und eindeutige Welt mit den Resten des alten Menschen freundlich auf. ZB. in der Fernsehserie „Knight Rider“ wurde die fahrbare Untertasse für David Hasselhoff als Kämpfer für Gerechtigkeit mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet. Hasselhoff fährt einen schwarzen Pontiac, der spricht, urteilt und Gefühle hat. „Knight Rider“ liefert alberne Filme, was die Einheit dieses Zukunftsspieles betrifft. Das Auto selbst ist futuristisch durchdacht, in ganz verschiedene Richtungen detailreich entwickelt. Gesamt gesehen hat es Denkbarkeiten realisiert, die ein auf Komfort bedachter Autoraser sich in kühnen Träumen wünscht. Eine Geschwindigkeit bis zu 500 km/h und diverse Möglichkeiten, der Verkehrspolizei zu entkommen. Nur der Mensch in diesem Spiel blieb der alte, als würde ihn die Technik nicht mit verändern.

Der Mensch, seine Geräte und die Natur müssen in einer Einheit gedacht werden, oder aber die Zukunftsfantasie wird albern und unverbindlich. Vor allem: Was bedeuten mehr Einsicht in die Natur und mehr technische Verfügbarkeit für den Menschen? Antwort: dass er auf der Ebene der Geräte gottähnlich sein wird, und auf der Ebene des Ich ein Freak, das ärztlich gestützt werden muss. William Blake fand nun die Gottähnlichkeit des Menschen nicht beim Wissenschaftler, sondern beim Künstler. Er hielt an der Gottähnlichkeit fest, was ein Rückfall hinter La Mettrie war, gelangte aber dennoch zum Ergebnis von La Mettrie: Es gibt keinen Fortschritt. Die Zerstörung der Pforten der Erkenntnis gibt es nur für den Künstler. Frei nach der Devise: Ist erst der Rahmen des Bildes weg, gibt es nach vier Seiten hin keine Grenzen mehr.

Philip Dick dachte sich Geschichten mit Maschinen aus und fühlte sich dennoch von der Gottähnlichkeit des Blake angezogen, die er gleichzeitig travestierte. Er war ein besonders begabter, aber unglücklicher Autor, der letztlich nicht bereit war, die Gebote der Kulturindustrie voll zu erfüllen. Trotz seiner großen Produktivität hielt sich sein Erfolg in Grenzen. Es ekelte ihn der Müll in Amerikas Straßen, es erschreckte ihn die Belästigung durch Polizei, und er hatte große Mühen, sich seine weichen und harten Drogen regelmäßig zu beschaffen. Er schrieb die literarische Vorlage für den Film „Blade Runner“, den Ridley Scott vorbildhaft verfilmte.

Der Roman und der Film spielen in einer Riesenstadt (L.A., in den 2010 er Jahren), in der es keinen Baum und keine Wiese mehr gibt und alle Tiere nur noch als mechanisches oder elektronisches Spielzeug existieren. In der Stadt steigt der Müll hoch und leben nur die Unterschichten, die entweder drogenabhängig oder kriminell oder beides sind. Es gibt aber reichlich Polizei. Das allgemeine Misstrauen, das herrscht, hat seinen Grund darin, dass der große Roboter – Konzern täuschend echte Maschinen – Menschen herstellt, die die zynische Regierung massenhaft in Umlauf bringt. Der Einzelne weiß nie genau, ob er noch mit Seinesgleichen spricht oder schon mit einer Maschine. In dieser Welt der Fälschungen werden die Roboter übermütig. Sie, die den Menschen in vielen Dingen überlegen sind, nehmen sich kraft ihrer großartigen KI-Freiheiten heraus, die den Menschen schaden. Ihre Unbotmäßigkeiten werden vom Konzern registriert und Replikanten-Jäger rücken aus und töten gefährlich gewordene Replikanten mit riesengroßen Pistolen.

Vladimir Putin
Dark Future als Welt, die die Natur ersetzt hat und nur noch aus Maschinen besteht

So weit so gut. Das Thema der Maschine, die sich über den Menschen erhebt, ist in dieser Zukunftsfantasie mit der Frage verknüpft, was den Menschen zum Menschen macht. Die alte, nahe liegende Frage, die man sich im Valley vielleicht gar nicht stellt. Ein Mensch namens Deckard versucht, eine Maschine namens Roy zu töten, was ihm aber nicht gelingt, weil er der Maschine mehrfach unterlegen ist. Dieses Showdown ist grausig – witzig inszeniert. Nach den Regeln dieser eindeutigen Welt müsste nun Roy den Angreifer Deckard töten. Er handelt aber plötzlich nicht wie eine Maschine, sondern wie ein Mensch. Er denkt an seine eigene Endlichkeit, nimmt den Kampf und dessen Logik nicht mehr ernst, lacht, rettet sogar den Jäger und stirbt eines „natürlichen Todes“. Er hat seine programmierte Lebensdauer erreicht. Der Jäger ist beeindruckt und gibt seinen Beruf auf. Die Maschine hat menschlicher gehandelt als er selber.

Die vom Menschen kaum unterscheidbaren Replikanten sind nicht bloß durch Leistungen des Rechners geschaffen worden. Der Konzernherr Tyrell, der auch Techniker ist und Roy geschaffen hat, hat auch als Neurotechniker und Biotechniker arbeiten müssen, damit Roy seine tolle Menschengestalt erhielt. Das konnten Dick und Scott noch nicht behandeln. Wir heute wissen das, wie auch neuerdings manchmal gesagt wird, dass nicht eigentlich der Computer die Existenz des Menschen in Frage stellt, sondern seine Verbindung mit Bio- und Neurotechnik. Die meisten Biologen lehnen das vermutlich ab, dass die Natur des Lebens verändert wird. Doch Neurowissenschaftler treten vor sie hin und behaupten, dass der Mensch immer schon Chips im Gehirn gehabt hätte. Sie sollten sagen: als ob er Chips im Gehirn gehabt hätte. Doch das sagen sie nicht.

Man sollte in der Öffentlichkeit schärfer formulieren, weil man dadurch mehr Klarheit schafft. Das würde andererseits den Unterhaltungswert verringern. Man sollte ferner in der Fantasie immer gesamtheitlich denken. Dann wird´ s nicht so albern. Der Turbo Boost des TV-Autos von Hasselhoff verleiht dem „Knight Rider“ noch keinen Ernst. Hingegen führen die Menschen und Maschinen und L.A. als Gruselstadt in „Blade Runner“ zu großer Einprägsamkeit. Allein der Slogan „Etwas produzieren, das menschlicher ist als der Mensch“ ist unbezahlbar. All das macht diese Cyberpunk – Geschichte unvergesslich. Wann wird man die neurotechnischen Spielereien von Elon Musk, die in einem historischen Haus in San Francisco stattfinden, in einer Krimi – Geschichte über Transhumanismus per Film oder per Buch pointiert darstellen?

© M.Luksan, Oktober 2022

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