DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Vorgetäuschte Autonomie

Ein Journalist entdeckte die Förderung eines jungen Filmemachers durch ein Kulturamt und schrieb: „Ferner Subvention an Petrus van der Let, einen Abfall der Niederlande.“ Er hätte auch schreiben können: „an einen Filmnovizen mit holländischen Wurzeln“, aber er wollte den Witz und die Herabwürdigung haben. Richard Nimmerrichter, genannt „Staberl“, wollte den Spott, der v.a. bei leidenschaftlicher Ablehnung leicht entsteht, nicht als Blitz im Text haben, sondern er wollte ihn als Häme zelebrieren. Er wollte das, was er zufällig entdeckt hatte und was er wie eine Entlarvung empfand (ein Künstler finanziert seine Produktion nicht selber), wie einen echten Schadensfall behandeln, über den man öffentlich spotten darf.

P. van der Let drohte ihm eine Klage an und Nimmerrichter entschuldigte sich in der nächsten Nummer. Hätte Staberl den Prozess verloren, hätte ihn sein Chefredakteur und Herausgeber von Schaden frei gehalten. Hans Dichand war die Staberl-Kolumne nicht „passiert“, er hatte sie von Anfang an als die tägliche Pranger – Ecke in der Kronen Zeitung eingerichtet. Ihm war auch nie die Nachricht das Wichtigste in seiner Zeitung, sondern die Kronen Zeitung sollte und soll eine „Lebensbegleitung“ sein. Sie will auch heute weniger die Köpfe ihrer Leser und Leserinnen aktivieren, als deren Emotionen. Sie will das bescheidene Leben der Leserinnen und Leser durch Sport, Motor, Adabei, Bezirksgericht, Tierecke, Pfarrer, Pinup Girl und Politik konkret ansprechen. Das ist zynisch, aber effizient. In der Vielfalt der Texte und Bilder, die sich immer schon anboten, fehlten Dichand die Leserbriefe („Die werden immer gern gelesen und sie kosten uns ja nix“, O Ton H. Dichand) sowie die souveräne Stimme, die die Gesinnung der Briefe durch Beispiele verdeutlicht.

Diese Stimme war R. Nimmerrichter. Dichand holte ihn von der „Wochenpresse“ weg hinein in seine, eben erst gegründete „Neue Kronen Zeitung“. Er schätzte dessen Eitelkeit und dessen materiellen Aufstiegswillen richtig ein (als er ihm die Kolumne nicht dreimal wöchentlich, sondern täglich anbot). Und er fühlte sich dem andern durch Herkunft und Kriegserlebnisse verbunden. Dem Chef wie dem Angeheuerten war außerdem der gleiche, marketinghafte Blick auf die künftige Leserschaft gemeinsam. Die Leser und Leserinnen waren hier umfassend gedachte Zielpersonen, weit über die geistigen Belange hinaus. Dichand war umsichtiger als Nimmerrichter, denn er hatte als Chef steirischer Regionalzeitungen und des „Kurier“ Erfahrungen mit vielen Zeitungslesern schon gemacht.

Sein Hauptgedanke war, den sog. Kleinen Mann mit den sog. Ehemaligen zu verbinden. Der Arbeiter und der Angestellte aus dem Niedriglohn – Bereich, ohne parteipolitische Ausrichtung, der Facharbeiter, der die Hochschulbildung verachtet, der Selbständige, den die Kammerumlage belastet, sollten mit einstigen Nazifamilien, die vom „Dritten Reich“ nichts mehr hören wollten, eine Gemeinde bilden. Auch galten alle Besser – Gestellten, die nur durch Bildung bessere Berufe hatten, alle Bonzen und Bürokraten, alle Subventionsnehmer und Kulturmodernen als zweifelhaft. Unter diesen Vorgaben formte Hans Dichand, der die Gabe hatte, alle Strömungen im Land von 1960 bis zum Ausländer – Volksbegehren richtig einzuschätzen, seine große und halb gebildete Gemeinde.

Trotz seiner Erfahrungen und seines zupackenden Verstandes, verriet er in seinen „Cato“-Kommentaren immer wieder, dass sein Horizont nicht weiter aufgespannt war als von Staberl. Er betonte aber den Selfmademan, der er war, nicht so stark wie Nimmerrichter, der das nicht war. Dieser führte seinen journalistischer Erfolg auf eigene Tatkraft und eigene Geistesgaben zurück. 2001 trennten sich die Wege der beiden Journalisten. Nimmerrichter war damals entschlossen, Schüssels „kleine Koalition“ (ÖVP/FPÖ) zu bejubeln und die Immo – Geschäfte von Ariel Muzicant ganz schlecht zu finden. Diese Art von Konfrontation wollte Dichand nicht haben, sie hätte der Zeitung geschadet, also hielt er weiterhin die Kronen Zeitung in Opposition zur bestehenden Regierung. Er sah, dass Schüssels Regierung gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit gebildet worden war (ein Teil der ÖVP war dagegen).

Für seine Kolumne musste Nimmerrichter nicht strategisch denken, er musste aber wissen, was die Themen und Botschaften der Stammtische waren. Das war ihm möglich. 1992 und 93 hat die Kronen Zeitung ganz massiv den Kurs von Jörg Haider unterstützt. Das strategische Denken von Dichand hat damals so gut funktioniert, dass Staberl einen Tabubruch wagte (und von Dichand nicht zurückgepfiffen wurde), der 1974, zur Zeit der Juden – Serie von Viktor Reimann nicht möglich gewesen wäre. Nimmerrichter relativierte die durch das „Dritte Reich“ ermordeten, sechs Millionen Juden. Nur wenige seien durch die Gaskammern, die meisten anders – und „banaler“ - ausgelöscht worden (R. N., Methoden des Massenmordes, In: Kr.Ztg., 10. März 1992)

Gerhard Botz hat diesen Artikel juristisch untersucht und ihn als Verstoß gegen das Verbotsgesetz qualifiziert (G.B., In: Handbuch des österr. Rechtsextremismus, 2. Aufl., Wien 1993, 514 ff.) Man muss dazusagen, dass Nimmerrichter nicht primär das Nazitum verteidigte, sondern versuchte, den Leserkreis der Zeitung zu erweitern. Der Artikel war einer seiner Beiträge zur Versöhnung des Kleinen Mannes mit den Ehemaligen. Die Kronen Zeitung war längst zweideutig dadurch, dass sie behauptete, dem Volk aufs Maul zu schauen, während sie in Wahrheit ihre eigene Sprache entwickelte. Sie schuf sich ein „eigenes Volk“. Die gewisse „Verbundenheit“ mit Unterschichten wurde hier nicht durch sprachliche Annäherung erreicht, sondern durch eine inhaltliche Anbiederung (die eigene Meinung wurde zurückgestellt zum Beispiel bei der Ausländerfrage und bei der Frage nach der Gerechtigkeit). R. Nimmerrichter stellte seine eigene Meinung zurück, als er die Teil-Leugnung der Gaskammern in der auflagenstärksten Zeitung Österreichs gegen alle Forschung vertrat. Darüber hinaus wollte sein Artikel als Nachweis gelten, dass nur die Kronen Zeitung eine unabhängige Zeitung war und kein Denkverbot akzeptierte.

Was den Selfmademan von R. Nimmerrichter betrifft, so war er um 1950 ein Nachkriegsmythos. Ein junger Mann, der keine Ausbildung gehabt hatte, weil er in den Krieg geschickt worden war, kehrte als „Unzerstörbarer“ in die Zivilisation zurück (es gab auch die, die als „Zerstörbare“ wieder kamen). Er ließ nun weder linke Erklärungen noch überhaupt Intellekt an sich heran, sondern krempelte die Ärmeln hoch und stürzte sich ins Aufbauleben. R. Nimmerrichter ging dorthin, wo die Sieger waren, er arbeitete für Pressedienste der Alliierten. Da er sportlich war und die Studierstube floh, fühlte er sich für Sport zuständig. Sein Bruder Alfred, der wie er als Sportjournalist begann, stellte die Gefallsucht von Richard in der Männerwelt fest. Auch den Frauen gefiel dieser hübsche und drahtige Mann, der da bildungsarm, aber selbstbewusst in der Boulevardzeitung über Sport berichtete.

Staberl und Heider
R. Nimmerrichter und J. Haider - Ins Ohr der Kronen Zeitung gesprochen.

R. Nimmerrichter, Sohn eines Arbeiters, hat sich nie in ein Projekt oder in ein Unternehmen Hals über Kopf vertieft und dadurch seine Umwelt vernachlässigt. Er hat aber wie ein vorsichtiger Kleinbürger auf Absicherung durch Anstellung stets geachtet. Als Journalist, Vertreter eines Faches, für das es eigentlich keine Ausbildung gibt, war er lange Zeit nur mit Sport beschäftigt, ehe er sich als Anhänger von Margret Thatcher entdeckte und den autonomen Wirtschafts- treibenden vertrat, den ein starker Staat angeblich nur behindert. Der junge Haider schien ihm den gleichen Weg zu gehen, den Nimmerrichter glaubte, gegangen zu sein. Er übersah, dass Haider ein Großerbe und geförderter Landesrat war, weil ihm im Grunde nur Idealität interessierte. Der ideale Mensch trat stark und arbeitsfroh aus dem Nichts hervor und baute ein Land auf oder führte es aus der Krise. Haider und Nimmerrichter - sie wollten eine österreichische „silent majority“ vor dem Denken der „eggheads“ schützen.

In den Staberl – Kolumnen ging es zB. um einen Ämter – Multi, der vom eigenen Parteivorstand gerügt wurde, weil er in einem seiner Ämter nie gesehen worden war. Diese Rüge war der Schaden für den Politiker und der Anlass für den Artikel. Oder es ging um einen „Staatskünstler“, der sich über die Spießigkeit der Leute beklagte, die ihn nach einem Interview beschimpft hatten. Jeden dieser Vorfälle beschrieb Nimmerrichter auf sarkastische Art, so als hätte man ihn täglich erwarten dürfen, weil die Person allen Durchblickenden und Rechtschaffenen im Land längst zweifelhaft gewesen war.

Die Kolumnen waren gut gebaut. Wenn ein Artikel zu Ende war, war durch die Verächtlich-Machung der Person immer auch die linke Ideologie diskreditiert, die die beschriebene Person vertrat. Staberl stellte die Wahrheit einer fremden Ideologie durch eine argumentative Beweisführung kaum je in Frage, sondern er „widerlegte“ sie durch die Mängel der Person. Wahrscheinlich sah er darin die “lebenspraktische“ Widerlegung. Ungeachtet dessen schrieb er sich nie in einen Wirbel, sondern kontrollierte seine kurzen Texte, die mehr gesprochen als geschrieben waren, durch Logik und Rhetorik gut. Angeblich legt er heute keinen Wert darauf, als guter Journalist zu gelten, wie er Thomas Frank in einem Interview vor Jahren mitteilte.

Was ihm aber bis heute wichtig ist, ist der Schein von Autonomie. Ein Mann sein, der sich alles aus eigener Kraft schafft und dabei immer integer bleibt und bedürfnislos dazu – mit diesem Schein spiegelte er Conny Bischofberger im Interview an (C.B., Wie war Ihr Jahrhundert, Herr Nimmerrichter?, In: Kronen Zeitung, 20.12.2020). Er hält an der irrigen Annahme fest, dass er sich sein Leben ohne große Anpassung selbst verdankt. Dieser Glaube hängt hier mit dem schönen und fitten Körper zusammen, den er in der Tat hat. Doch Nimmerrichter unterschlägt, dass sein Körper die längste Zeit sein höchster Wert und sein letzter Sinn gewesen ist. Diese Botschaft hätte er als Staberl nicht verkünden können. Auch muss der schöne und fitte Körper, wie es der Fall Haider zeigt, von schnöder Berufsarbeit tagsüber frei gestellt sein, weil man sonst am Abend nicht gelockert und geschönt in der Fernsehshow auftreten kann. Diese Bedingung des narzisstischen Politikers – und des narzisstischen Journalisten – bedeutet aber, dass der Betreffende nicht gegen den Strom schwimmt, sondern privilegiert lebt und sich Moral nur anmaßt.

© M. Luksan, Jänner 2021

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