DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
  STARTSEITE


Fingerzeige für einen Prosaschreiber

Sie als Autor fuhren mit dem Billigbus nach Graz. Da sahen sie die jungen Flixbus – Reisenden, die unverwandt auf ihre Smart Phones schauten. Nur ihre Finger bewegten sich, leicht und flink. Sie selber reichten dem Busfahrer ein ausgedrucktes Stück Papier mit einem digitalen Prüfzeichen. So viel Arbeit hatten sich die Jungen nicht gemacht. Sie alle zeigten nur den Bildschirm des kleinen Gerätes und deckten ihn halb ab, damit der Busfahrer die Auftragsnummer im Sonnenlicht besser lesen konnte.

Diese Jungen sind cool und effizient und sie sind sanft und gleichgültig. Falls sich einer von ihnen im Bus auf einen reservierten Platz setzte und der rechtmäßige Platzinhaber kam und wies ihn weg, so wechselte der Junge leichthin und wortlos den Platz. Sie als Mitglied der alten Generation wären in einem solchen Fall ruckartig still gestanden. Alles mit der Ruhe!, hätten Sie gesagt, Zeigen Sie mal Ihre Nummer? … So ein Theater werden Sie von den Jungen nicht erleben. Allerdings nehmen diese jungen Leute ihre Umwelt nicht so wachsam wie Sie , sondern nur am Rande wahr. Es fehlt ihnen die vom Trendschwätzer angesagte „Achtsamkeit“ sehr weitgehend. Durch ihr teilnahmsloses Reagieren vermeiden sie kleine Konflikte, doch werden sie vom großen Unvorhergesehenen voll getroffen.

Nehmen wir die Räuberei, die Ihr Freund Edwin erlitten hat. Edwin fuhr nach einem einwöchigen Spitalsaufenthalt mit der Wiener U 4 nach Haus. Der ältliche und abgezehrte Mann, der teure Mantel schlotterte um seinen Körper, wurde von einem stämmigen Balkanmann um zwei Euro angebettelt. Seufzend sucht er in der Sakkotasche nach Münzen, während er sich irgendwo festhält, den Griff eines Gehstockes in der Armbeuge. Plötzlich gibt ihm der Bettler einen heftigen Stoß und arretiert Edwin an der Tür des leeren Waggons. Er sucht selbst nach Geld in Edwins Kleidung. Der Zug fährt in die Station Schönbrunn ein, Edwin stößt den Bettler zurück und taumelt auf den Perron. Er hebt seinen Stock auf, zeigt auf die offene Tür und schreit: Nicht einsteigen! Ein Räuber ! - Raubt Sie aus! - Die Leute schauen ihn an und beginnen Gespräche untereinander. Als sich die Türen wieder schließen und der Zug wegfährt, ist tatsächlich niemand eingestiegen. Aber auch niemand hat den Räuber gestellt.

U-Bahn U4 in der Nähe von Wien Hietzing
Foto: U4, nahe Wien – Hietzing.

Wer würde sich mehr wehren als Edwin? Sie vielleicht. Die jungen Digi – Leute aber würden perplex sein und – vielleicht – die Außenwelt künftig weniger nachlässig erledigen. Es gibt freilich eine Minderheit unter den Jungen, erkennbar an ihren schnellen Bewegungen und schnellen Repliken, die tendenziell unhöflich und aggressiv ist.
Wir wissen nicht, wie diese Jungen auf einen psychisch dominanten Bettler mit sanfter Raubmethode (durchgestreckter Arm!) reagieren würden.

Aus dieser Minderheit rekrutiert sich der junge Autofahrer, der absichtlich einen Auffahrunfall verursacht, weil ihm der, vor ihm Fahrende zu langsam fährt. Auch der Kaufmännische Lehrling, der seinen besten Freund mit vorgehaltener Pistole zwingt, den weiblichen Partygast zu vergewaltigen, gehört zu dieser gefährdeten Gruppe. Und die Escort - Dirne, die ihren Kunden zweimal in den Kopf schießt, weil er die - vereinbarte – sexuelle Handlung nicht zügig durchführt, zählt ebenfalls zum Kreis der enthemmten Narzissten, die mitten in der hochzivilisierten Gesellschaft die Gewaltsamkeit grausig explodieren lassen.

Sie als Autor sollten aber nicht nur „Eigenverantwortung, Mut und Sicherheit“ (Innenministerium), sondern auch „Bindung und Dankbarkeit“ (Familien- ministerium) behandeln. Als Student wohnten Sie gemeinsam mit einem sehr dicken Freund, der Ihnen zwei Zimmer dieser Wohnung vermietete. Als Sie auszogen, waren Sie ihm fünf Monatsmieten schuldig. Davon zahlten Sie nur ein Monat, weil Sie knapp bei Kasse waren und dennoch ein Zeichen setzen wollten. Der Freund namens Karl – Viktor steckte den Geldschein in eine Hosentasche und wischte sich mit dem Hemdärmel über die Stirn, als Sie ihm erklärten, wie Sie Ihre Restschuld bezahlen wollten. Dann sagte er: Du zahlst es, wenn Du kannst. Da mache ich mir keine Sorgen. - Er hätte sich aber welche machen sollen, denn Sie haben diese Schuld nie beglichen.

Als Sie Freund Edwin im Schönbrunner Stöckl trafen, um sich vom Begräbnis des Karl - Viktor erzählen zu lassen, kam das Gespräch auf die Größe des Sarges, der den Leichnam fasste. Der Freund wog zuletzt nur noch 120 Kilo. Doch es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der Karl - Viktor von seinem Arzt in einen Supermarkt geschickt worden war, weil die dortige Wage Gewichte über 150 Kilo messen konnte. Die Erheiterung, die Sie und Edwin im Andenken an Karl - Viktor verband, war einerseits natürlich und andererseits paradox durch ihren Mangel an Respekt.

Sie als Autor sollten diese Wehrlosigkeit, diese Reizbarkeit und diese Unangemessenheit der Gefühle öfters in den Blick nehmen und davon erzählen. Gerade Sie könnten das Absurde behandeln, wo immer es sich zeigt. Sie müssten politisch oder atmosphärisch gar keine Rücksicht nehmen, nur die offene Absicht zeigen, den Grundrespekt beachten und etwas Vorsicht angesichts des „Marktes“ der Werke an den Tag legen.

In Graz lasen Sie aus Ihrem Buch und mitten im Satz wurde Ihnen das Mikro abgedreht. Sie standen auf und küssten die Verlegerin auf die Wange. Dabei sahen Sie den fußfrei sitzenden Jüngling im Saal, der schadenfroh gelacht hatte, als Sie den verstärkenden Hall Ihrer Stimme plötzlich nicht mehr gehört hatten. Wahrscheinlich hatten Sie verdutzt geschaut. Doch mit dieser Schadenfreude müssen Sie in einer Welt der verordneten Performance, in der das eingeübte Auftreten eines jeden Einzelnen kaum noch erträglich ist, überall rechnen … In Ihrem Hotel hingen eine Menge Kreuze. Als Sie durch einen Gang an einem laufenden Computerbildschirm vorbeigingen, sahen Sie auf dem Schirm eine Frau, die einen dicken Penis im Mund hatte, die Augen geschlossen, mit der anderen Hand hatte sie den Hoden gepackt. Die Hotelbesitzerin kam Ihnen sehr elegant entgegen, sie hatte ein christliches Kreuz um den Hals und rief: Sind Sie zufrieden mit Ihrem Zimmer´? - Das wäre dann ein weiteres Thema, das man die „Unvereinbarkeit der Welten“ nennen könnte.

© M.Luksan, Dezember 2017

zurück