DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Ich weiß keine bessere Welt - Ingeborg Bachmann

Die literarische Neuerscheinung löst beim Literaturfreund eine Neugierde aus: Wird packend erzählt? Psychologisch dargestellt? Mit Sprache virtuos gespielt? In einer Buchhandlung nimmt er das öffentlich gepriesene Buch zur Hand und liest darin ein paar Sätze. Das kann auch zum Ende seines Interesses führen. Wie deutet er nun den Satz „Ich weiß keine bessere Welt – Ingeborg Bachmann“, geschrieben auf einer beleuchteten Wand in Klagenfurt? Dass er Utopie in der Literatur nicht mehr suchen soll? Dann wird ihm vielleicht die Bildung sagen, dass die Utopie von der besseren Welt seit vielen Jahrhunderten ein fester Bestandteil von Literatur ist.

Den besagten Satz zeigt ein ORF Foto vom Saal der Klagenfurter Lesungen. Der Standard hat es einem Essay von Peter Truschner findig vorangestellt (25.06.16). Der Satz wirkt wie eine Ermahnung an die Autorinnen und Autoren, die beim Bachmann-Preis einem öffentlich urteilenden Kollektiv gefallen müssen. Denn Kollektive sind es heute, nicht Einzelne, die darüber entscheiden, ob aus einem kreativen Niemand ein kreativer Jemand werden darf. Der Satz wirkt wie ein Totempfahl. Die Kunst ist frei, scheinen die Damen und Herren Juroren zu sagen, bis auf ein paar Grundsätze, die du in deiner freien Welt befolgen sollst. Denn wir wollen nicht nur, dass du nicht rassistisch und nicht fremdenfeindlich bist, wir wollen auch, dass du Naivitäten ablegst, die wir, die Gremien, schon durchschaut und abgehakt haben.

Die „Naivitäten“ lassen wir beiseite. Hier beschäftigt uns der auf den Schreibenden lastende, ungute Druck. Die Literaturschaffenden finden auch heute noch genügend Öffentlichkeit vor, doch sie werden nicht mehr von philosophisch zerstrittenen Einzelnen geprüft, die insgesamt eine große Bandbreite darstellen, sondern es leisten Gruppenmitglieder diese Arbeit, die den Konsens und damit die Macht der Gruppe nicht verletzen wollen. Auch wenn man das Diktatorische des alten Kulturpapstes ablehnt, sieht man doch, dass seine Meinung nicht alle vorhandenen Meinungen in sich enthielt und wie auf einem Gerichtshof zum Ausgleich brachte. Die Meinung der Gruppe tendiert zum Gerichtshof. ZB. der in Klagenfurt negativ beurteilte Jörg Fauser wusste für einen Moment nicht, wo er sonst noch hingehen sollte. Das demokratische Getue des Gremiums verdeckt die Subjektivität des Urteils.

Von der Kunstbewertung gilt immer noch, dass das geleistete Objekt naturwissenschaftlich nicht objektivierbar ist, sondern nur durch eine subjektive Ästhetik erfasst wird, die bei der Modernen Kunst und bei der Modernen Literatur nicht einmal den Endpunkt darstellt. Denn anders als in der „Galerie Otto“, wo man nur noch dem eigenen Geschmack folgt, setzt sich der Rezipient von Moderner Kunst und Moderner Literatur nie nur mit dem Objekt allein, sondern immer auch mit der Kritik dazu auseinander. Das geht so weit, dass er sich bei einem oft und respektvoll genannten Namen zur persönlichen Prüfung des Werkes zwingt, was er bei einem „namenlosen“ Werk nie tun würde. Und nachdem er die öffentlich herumschwirrenden Bewertungen der Kritiker und Juroren halbwegs verstanden hat, nimmt er selber das Objekt durch ein Gefallensurteil auf.

Den Nachteil des Kulturschaffenden hat Niki Lauda lakonisch auf den Punkt gebracht. „Warum bin ich in den Medien?“, fragte er sich, „Die einfache Antwort. Weil ich Formel 1 Fahrer bin. Künstler sind von subjektiven Meinungen abhängig, das macht´ s schwieriger.“ (Kurier; 5. 03.17) Das Ergebnis der Bemühung, das Kunstwerk, die Leistung, ist nicht messbar, nicht bezifferbar. Bei Lauda genügte stets ein Blick auf die Stoppuhr. Wenn er von allen Fahrern die beste Zeit erbracht hatte, musste er dem Publikum nicht noch als Mensch gefallen.

Der Erfolg eines Textes vollzieht sich nicht in einem einzigen Schritt, sondern der Text muss nach der Prüfung durch Verlagslektoren in einem zweiten Schritt ein paar maßgeblichen Kritikern gefallen. Sonst ist ein rascher und ein großer Absatz unmöglich. Das Zweifache dieser Bewegung illustriert den Charakter unserer Erfolgsgesellschaft, die sich – zumindest im Kulturbereich - mit Leistung alleine nicht begnügt. Erst wenn das Bild in einer Galerie durch einen Liebhaber, einen Spekulanten oder ein Museum gekauft ist und bei einer Auktion seinen Preis und seine Beschreibung erhalten hat, tritt es in die Sphäre des Erfolges ein. Da Leistung und Erfolg zwei verschiedene Paar Schuhe sind, kommen moderne Künstler leicht auf die Idee, sich die kritische Instanz gänzlich zu ersparen. ZB. Damien Hirst macht eine Auktion unter Ausschließung der Kritiker und der Galeristen oder Jeff Koons verkauft seine Objekte nur an reiche Bekannte.

Joseph Beuys und Willy Bongard, 1969
Joseph Beuys und Willy Bongard, 1969 (Foto: Peter Baum)

Diesen Trend der Umgehung von Kritik verstärkte einst Joseph Beuys, als er aus der Kunst gleichsam hinaustrat und von außen wieder in sie eintrat. Von diesem Moment an, als er Fluxus – Kunst und anderes hervorbrachte, war er der Guru seiner eigenen Kunst. Er wollte nicht nur das Noch - Nie – Da – Gewesene bei sich selbst befreien, sondern auch die höchste Beurteilungsinstanz sein und einen neuen Kunstmarkt organisieren. Solche Allmachts – Fantasien des Bildenden Künstlers kommen für den Schriftsteller/Dichter nicht in Frage. Weder kann er aus dem Nichts heraus einen Text schaffen, oder - was das gleiche ist - aus der Umgangssprache heraustreten, noch kann er dem Leser ein Text – Unikat verkaufen. Er ist und bleibt auf die Zahl der Leser angewiesen. Wenn er Erfolg haben will.

Vom Urteil der Kritiker ist der zweite Schritt der Prüfung abhängig. Denn nur in der Gebrauchsliteratur kommt man ohne jedwede Kritik an größere Leserkreise heran. Wenn nun diesen privilegierten Lesern der fröhliche Wettbewerb der Themen, Weltsichten, Schreibhaltungen und Schreibmethoden keine Freude macht und sie ihn sogar ekelhaft finden, weil sie - an Stelle einer Literaturwissenschaft – eine Literaturideologie beachten, so ergeben diese an die Wand geschriebenen Devisen und Ermahnungen einen zusätzlichen Sinn. Es könnte auch geschrieben stehen: „Der allwissende Erzähler ist tot“, „Wer erzählt, zählt nicht“, „Es gibt keine Welt außerhalb des Textes“. 1979 rief Marcel Reich-Ranicki in den Klagenfurter Saal (und die Autoren und Autorinnen kicherten verlegen): „Ich lasse mir von einem Poeten nicht die Welt erklären!“ Das war damals der neueste Schrei. Hier die Zauberer der Kunst, die scheinbar alles dürfen und die man nie ganz versteht, und dort die Techniker, Wissenschaftler und Wirklichkeitsmenschen, die das Erklären gepachtet haben und an denen kein Rest von Rätsel haftet.

In seinem wichtigen Essay beschreibt Peter Truschner weniger die „vorgeschriebenen Codes“, die überall auftauchen und nur knapp geäußert werden, als die grassierende Nachgiebigkeit, Ängstlichkeit und Karrierebezogenheit der Nachwuchstalente. Jede Generation ist offenbar anderswo realistisch. Der „vorauseilende Gehorsam“, der in den 1980 er Jahren sehr verachtet war, scheint heute niemandem mehr sauer aufzustoßen. Die Redaktionen, Lektorate und Dramaturgischen Abteilungen, die wir hier als „ersten Schritt“ begreifen, sind selber schon von Konformismus erfasst. Sie prüfen, wie Truschner schreibt, das kreative Tun ihrer Angestellten und Freien Mitarbeiter lückenloser und kleinlicher als früher, wo die Weltlage noch halbwegs offen und der „Rückzug ins Private“ weniger verbreitet war. Zitat Truschner: „Je weniger das Große zu verändern ist, desto empfindlicher wird man im Kleinen. Die neue Empfindsamkeit ist dabei kaum vorstellbar ohne die subjektive Erfahrung von politischer Ohnmacht.“
Auf diesem Weg raubt der immer schon prophezeite Konformismus der poetischen Darstellung Lebendigkeit und Vielfalt. Sieht momentan so aus. Peter Truschner empfiehlt die Abwendung vom Betrieb, doch der Betrieb ist an sich nicht schlecht. Er ist nur so gut wie die Betriebsleute.

© M.Luksan, März 2017

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