DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Literaturbetrieb, kritisch gesehen

Ein kaum beachteter, deutscher Autor teilte seinem Verlag mit, an einem Hirntumor erkrankt zu sein, und alle Türen gingen für ihn auf. Wolfgang Herrndorf (ein großes Talent) erlebte dieses Anschwellen von Akzeptanz und entfesselte seine Kreativität. Er schrieb den Jugendroman „Tschick“, in kurzer Zeit. Man lektorierte Teile davon, während er an anderen noch schrieb. Man legte den Publikationstermin fest, obwohl der Schluss noch gar nicht da war. Ein Agent verhandelte für ihn bei Rowohlt einen günstigen Vertrag aus. Eintragung vom 14.6.2010: Während ich mit Tim Attanucci in der Mensa sitze, ruft Uwe (Uwe Heldt, Literaturagent, Anm. M.L.) mit einem Angebot von Alexander Fest an. Ich höre nur den Veröffentlichungstermin und sage: Zuschlagen. (W. H., Arbeit und Struktur, Berlin 2013, S. 65)

Etwa zwei Wochen später fand er „Tschick“ nicht besser als sein älteres Werk „In Plüschgewittern“. Er notierte das in seinem Blog, in dem er sonst primär seine Krankheit protokollierte: Abends kommen mir so starke Zweifel an dem Buch, dass ich mich frage, ob der Vertrag mit Rowohlt auf regulärem Weg zustande gekommen ist oder Helfer ihre Finger im Spiel gehabt haben. (a.a.O, S. 68) Da er in Deutschlands literarischer Szene fast ein Niemand gewesen war, kam ihm jetzt das Ineinandergreifen verschiedener Räder im Betrieb unheimlich vor. Am 25. 9.2010, „Tschick“ war bereits zwei Wochen auf dem Markt, da schlug das Angeregtsein in Verärgerung um: Bekomme mit, dass der Verlag Bloglink mit Psychiatrisierungseintrag als Werbemittel rumschickt. Wahnsinn. Und nein, das ist nicht mit mir abgesprochen. (a.a.O., S. 96)

Was ist dieser Betrieb, der einen Autor im Guten wie im Schlechten anregt? Er ist ein „zweiter Markt“ – im Unterschied zum „ersten Markt“ des Buchhandels – und dient dem löblichen Zweck, die allgemeine Aufmerksamkeit für belletristische Bücher zu erhöhen. Dadurch ist er sinnvoll, so wie auch halb-kommerzielle Verlage, subventionierte Medien, subventionierte Literaturvereine und subventionierte Literaturhäuser sinnvoll sind. Er läuft aber falsch, wenn er als Funktionsverband, der er ist, als Kooperation von Verlegern, Autoren, Medien mit preisverleihenden Einrichtungen zum Zwecke der Herstellung von literarischer Öffentlichkeit, definieren, Modelle vorgeben und das anderswo laufende Business listig beeinflussen will (der Literaturbetrieb ist nicht der Buchhandel, und auch nicht der Film und nicht das Fernsehen).

Der Ex-Verleger Michael Krüger spricht im Interview mit PF (Politisch schreiben) von den wenigen Autoren, die heute „kompatibel für größere Menschenmengen“ sind. Was für ein Ausdruck für „mehrheitsfähig“, denn das ist hier gemeint. Und die Verlage, sagt er sinngemäß, würden durch ein „bestimmtes Niveau des Schreibens“ dazu verführt, dass sie auch jene Manuskripte drucken, für die es die größere Menschenmenge nicht gibt. Was für eine Klage von einem gestandenen Verleger, der genau weiß und auch reichlich Gebrauch davon gemacht hat, dass es für die 90 Prozent Nicht-Mehrheitsfähigen, die auch Wertvolles erzeugen, aber nie eine hohe Auflage erleben, die Subvention in allen ihren Spielarten gibt. Wahrscheinlich geben die meisten Verleger, die den deutschen Betrieb samt seinem Anspruch mit geschaffen haben, am Ende ihres Lebens der Marktwirtschaft das letzte Wort.

Ein anderer Verleger ist Jochen Jung, der seine Tätigkeit eher durch seine Definition von Literatur als durch simple Marktwirtschaft rechtfertigt. Er fuhr immer auf kleinerer Spur als der Ex – Chef des Hanser Verlages, hat aber den Spitzenwert von Literatur, den nur das Grüpplein der Wissenden erkennt, stärker strapaziert als Krüger. In seiner Laudatio auf Alfred Kolleritsch gibt Jung in die Verstiegenheit des Betriebsmenschen Einblick. Er beschwört zB. die „gar nicht so kleine Machtposition im Literaturbetrieb, die dem eigenen Ego aufhalf“, und meint damit Kolleritsch (den Verdienstvollen), nicht sich selber. Und er knüpft die Routine und die Notwendigkeit eines jeden Lektors, ein Manuskript abzulehnen, an eine schicksals- hafte Alternative. Die Abgelehnten werden als die „Möchtegerns“ und „Esauchverdienthabenden“ bestimmt, die die Ablehnung „ein Leben lang nachtragen“.

Martin Walser
Martin Walser und der Betrieb

Wirklich deutlich wird das falsche Selbstverständnis von Lektor Jung, wenn er die Lektorenarbeit in Belletristik Verlagen mit allerhöchstem Anspruch präsentiert. „es geht bei der Redaktionsarbeit ja nicht nur um Texte und Karrieren, es geht um unser Selbstverständnis als auf Kunst Angewiesene“ Und weil das total unklar ist, gibt es eine Beifügung: „es geht (…) um den Begriff von Menschsein und nicht weniger“. (J.J., Der heilige Alfred, In: Wiener Zeitung, 13.,/14. 2. 2016) Da bleibt wohl dem prekären Einzelnen nur die Chance, so einen Verleger oder Lektor irgendwann zu begegnen, damit auch er in den Genuss des Menschseins kommt.

Der Insider rechtfertigt seine Überlegenheit über den Outsider. Das ist in jeder Sparte so gegeben. Doch in der Kunst ist diese Regel problematisch, weil ja heutige Kunst frei, unbeeinflusst und außerhalb von Institution entstehen soll. Der Literaturbetrieb hat sich den Kunstbetrieb zum Vorbild genommen und beachtet, um nicht zu sagen, fordert bestimmte Vorstellungen zur Erzeugung von Literatur. Mit diesen Vorstellungen hängt der Auftrittsstil des richtigen, des echten, des heutigen usw. Dichters eng zusammen. Er gehört zur Literaturideologie dazu und die dichtende Avantgarde stellt ihn gern zur Schau. ZB. im Internet.

Autor Gretz (fiktiver Name): Ich habe gehört, du hast Angela Leinen (deutsche Lektorin, Anm. M.L.) getroffen und mit ihr über mich gesprochen.
Autorin Witzig (fiktiver Name): Richtig, sie sagte, dass du in ein paar Jahren ein ganz Großer sein wirst.
Gretz: Das ist lieb von ihr. Wenn sie wirklich so gerne etwas von mir liest, dann empfehle ich ihr meine Erzählung „Kleine braune Tiere“.
Witzig: Das sollten aber wirklich Tiere sein und keine Metaphern.
Gretz: Das sind schon echte Tiere. Kleine, herumlaufende Metaphern würden mir selbst nicht gefallen.
Witzig: Das Buch „Stellungskrieg“ hat mich so gefreut, dass mir die Übersetzung völlig egal war.
Gretz: Ich mag auch Bücher, wo viel kopuliert wird. Das ist komisch, weil ich selber nur sehr selten kopuliere. Ich muss auch gestehen, dass ich erst einmal in einem Raum voller Kopulierender war. Da bin ich gleich wieder gegangen. Mehr interessiert hat mich, zwei Lesben zuzuschauen. Eine Bekannte von mir hat mich dazu eingeladen und dann haben mich beide Frauen ausgelacht, weil ich so verkrampft dagesessen bin.
Witzig: Ich bin selber so verklemmt. Nach Erscheinen meines Buches „Wahl der Qual“ traute ich mich nicht mehr, zu einer SM–Veranstaltung zu gehen. Ich hatte Angst, die Leute würden mich für eine SM–Expertin halten und mich etwas fragen.
Gretz: Heute morgen hatte ich einen Traum, in dem du vorkamst.
Witzig: Soll ich nach dem Inhalt des Traumes fragen oder sagst du´s selber?
Gretz: In dem Traum hast du mir erklärt, wie ich eine größere Leerstelle zwischen zwei Wörtern auf ein einziges Leerzeichen verringern kann. Indem ich dort den Cursor hinsetze und auf Backspace drücke.
Witzig: Das ist interessant.
Gretz: Ich frage mich, wofür die Leerzeichen stehen?
Witzig: Sie stehen für den Abstand zwischen dir und der Realität. Oder sie stehen für das Gegenteil. Ist auch egal. (Die Namen der Autoren sind verändert, weil auch ihre Statements verändert, und zwar verknappt wurden. Die ursprüngliche Behäbigkeit der Formulierungen erklärt sich zum Teil dadurch, dass dieser Dialog als E–Mail–Austausch erfolgt ist.)

In dem Dialog treten Banalität, Abseitigkeit und kindliche Gleichgültigkeit gerade wegen der Intelligenz der Autoren stark hervor. Eine geistige Grundhaltung soll sich zeigen. Die Literaturkritik hat „das Geständnis“ ursprünglich negativ beurteilt. Der Autor macht sich kleiner als der Leser und biedert sich gleichzeitig an diesen an. Auch kann der Leser die Wahrheit des Geständnisses weniger gut abschätzen als die Wahrheit der poetischen Formulierung. Die Kabarettisten haben die Logik der Anbiederung zu Ende gedacht: I bin ein Arschloch, du bist ein Arschloch. Warum sagen wir nicht Du zueinander? ... Doch die Kritik hat sich verändert und die Feststellung von Cyril Connolly (Das Grab ohne Frieden, dt.1962), dass den Autoren, die immer über sich selber schreiben, Autoren gegenüber stehen, die niemals über sich schreiben, wurde auf den Mist geworfen.

Der Literaturbetrieb bevorzugt Autoren, die sich selbst erforschen, selbst darstellen und Geständnisse auf den Lippen tragen. Die Ideologie schwafelt von „Mehr Ehrlichkeit“ und „Mehr Demokratie“, aber man weiß gar nicht, ob das Gros der Leser die Indiskretion wirklich so sehr begehrt. Das Geständnis ist erst dann ein Kitzel für jedermann, wenn ein Poet nachweislich im Gefängnis saß oder eine Poetin wirklich ihren Gatten verlor. Der normale Autor/die normale Autorin sind aber weder Blaise Cendrars noch Albert Schweitzer, sie haben sich weder verausgabt noch haben sie vorbildlich gelebt. Sie haben jedoch ihre Kräfte auf die Beziehung von Sprache und Stimme konzentriert. Da jeder/jede ein anderes Ich, ein anderes Bewusstsein, ein anderes Hirn besitzen, soll kein Betrieb versuchen, diese Sphären zu normieren.

Beim freien Rummel soll jeder mitmachen, der Mindestanforderungen des Schreibens erfüllt und sich unbedingt mitteilen möchte. Der Betrieb organisiert das und betont ohne viel Bewertung die sichtbar werdenden Verschiedenheiten. Das ohnehin nicht naive Publikum macht sich seinen Reim selber. Der Betrieb gibt auch den Stars nicht mehr Raum als den Unbekannten (echte Stars treten nicht im Betrieb, sondern woanders aus der Masse hervor). Er verzichtet auf Marketingcoups und dazu gehört, dass ein neues Buch nicht ausführlich besprochen werden kann, wenn es in den Buchhandlungen noch gar nicht erhältlich ist.

© M.Luksan, September 2016

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