DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Zwei Erzählerstimmen

Im Versuch, die neuesten Gefühle zu zeigen, wendet sich die Literatur gern der sexuellen Liebe zu, vor allem wenn diese nicht einfach glückt. Ernest Hemingway verärgerte einst Gertrude Stein durch eine Kurzgeschichte von einem Koitus, der direkt und zugleich verschwiegen dargestellt ist, „Oben in Michigan“. Die Heldin Liz wird durch einen maskulinen Mann zartbitter enttäuscht. Mehr als achtzig Jahre später stellte Ulrike Draesner eine deutsche Gina hin, die zoologische und sexologische Forschungen betreibt und dabei die Männer nur noch als Forschungsobjekte sieht („Süße Kaverne“).

Die ganze Zeit über, heißt es bei Hemingway, die Jim auf dem Jagdausflug war, dachte Liz an ihn. Es war schrecklich, während er weg war. Sie konnte gar nicht gut schlafen, weil sie an ihn dachte, aber sie entdeckte, dass es auch Spaß machte, an ihn zu denken. Wenn sie sich gehen ließ, war es besser. (E.H., In: Gesammelte Erzählungen, Reinbek, S. 77) Ein Sachverhalt reiht sich an den andern und wird jeweils durch einen Satz oder durch eine simple Hypotaxe abgeschlossen. Es gibt keine Vorgeschichten und keine Erklärungen, die den narrativen Fluss verzögern. Die Sätze schließen nicht nur aneinander an, sie scheinen auch - wie bei einem Witz oder bei einer Anekdote – auf ein baldiges Ende der Mitteilung zuzustreben.

Anders die Wirkung bei Ulrike Draesner: Sie hatte gelernt, sich vorsichtig zu bewegen, fast unhörbar, sodass kein Tier erschrak, auch das Menschentier Mann nicht, schon gar nicht, wenn es schlief. Dieser Mann schlief besonders schön, entspannt auf dem Rücken, Mund leicht geöffnet. Er schnarchte nicht. Sie hatte nur die Besten genommen für ihre Tour. Im Sommer waren Körper robuster, also wählte sie den Juni, maß ihre Temperatur, sechs bis zwölf Stunden gab Mutter Natur ihr Zeit. Enthaltsamkeit die Tage zuvor – nun war sie bereit, fünf Samenmänner und gleich zu Beginn ein Joker, bei ihm gelandet über Nacht, Marius oder?, entdeckt in einer Bar(U.D., In: Modern Love, Hg. Susanne Gretter, Berlin 2013, S. 133)
Die Erzählsituation ist - zunächst – unklar. Das Leise – Ankleiden der Frau und das Schlafen des Mannes sind gerade noch erkennbar. Ein Sachverhalt wird von einem Satz nicht abgeschlossen, sondern mehrere Sätze beziehen sich auf ihn (schlief besonders schön… Mund leicht geöffnet … schnarchte nicht). Die gewisse Unordnung des Erzählens wird durch Kommentar und Vorgeschichte gesteigert. Der Satz Sie hatte nur die Besten genommen für ihre Tour unterbricht die Narration und die darauf folgenden, dem Kommentar dienenden Sätze erklären das Wort „Tour“ nicht. Man erfährt nur, dass die Heldin mit „fünf Samenmännern“ zu tun hat, wozu der „Joker“, mit dem sie die Nacht verbracht hat, nicht dazugehört. Von diesem, in einer Bar angelachten Spaßmacher hat sie den Namen nicht behalten (Marius oder?) Seine Augen, schreibt Hemingway, glänzten und sein Haar war ein bisschen verstrubbelt. Liz blickte in ihr Buch. Jim ging hinüber hinter ihren Stuhl und stand da, und sie konnte seinen Atem spüren, und dann umschlang er sie mit beiden Armen. Ihre Brüste fühlten sich prall und fest an, und die Brustwarzen standen aufrecht unter seinen Händen. Liz bekam einen furchtbaren Schreck; niemand hatte sie je angefasst, aber sie dachte: Endlich kommt er zu mir. Er ist wirklich gekommen. 2) (E.H., S. 78 f.) Der Vorgang ist zunächst ohne die Perspektive einer Figur beschrieben, dann wird die Sicht der Frau immer wieder eingeschaltet (sie konnte seinen Atem spüren… bekam einen furchtbaren Schreck… sie dachte etc.). Das Geschehen wird durch die Augen der Frau gesehen, wobei sich die auktoriale, einheitliche Stimme nicht verändert. Man könnte nun sagen, dass ein einfühlsamer Mann aus der Sicht der Frau erzählt, aber eigentlich lässt sich diese knappe und behutsame Diktion gar nicht als „typisch männlich“ bezeichnen. Auch Carson Mac Cullers oder Dorothy Parker hätte beim gleichen Thema ähnlich formuliert.

Bei Draesner fehlt die Einheitlichkeit der Stimme. Manche Forscher, schreibt sie, sprechen bei Fledermäusen von brutaler Vergewaltigung. Das Männchen flog ein winterstarres Weibchen an, biss es in den Nacken, dass es halb erwachte, also wärmer wurde - quasi um das Pendulum vor Kälteschock zu schützen. Wärmer, aber nicht warm genug, um sich zu wehren. Das Männchen biss zu, fickte drauflos. Die ganze Balz gespart! Sehr effektiv. Reinstoßen, was geht. Gina hatte sich das nie als schlimm vorstellen können. Hängen, schlafen, gebissen sein. Das Fell ein wenig sträuben. Nichts wissen, nichts sehen. Es wirkte so – hingebungsvoll. 3) (U.D., S. 139) Die Perspektive der Frau ist deutlich da, aber welche Sprache spricht die auktorialen Stimme? Ein Satz wie „Das Männchen flog ein winterstarres Weibchen an, biss es in den Nacken etc.“ ist narrativ, hochsprachlich und literarisch formell. Im Unterschied dazu gehören die Worte „Die ganze Balz gespart! Sehr effektiv. Reinstoßen, was geht (…) Hängen, schlafen, gebissen sein“ einer formlosen, zwischen Insidern gesprochenen, syntaxarmen Sprache an. Diese kommentiert und erklärt hier den Vorgang näher. Der Kommentar ist kunstfertig, verhindert aber, dass im Text eine einzige Stimme erklingt. Man hat den Eindruck, dass die Erzählerstimme durch eine freche und gleichgültige, zweite Stimme gestört (ergänzt) wird. Diese Sätze könnte auch ein Jörg Fauser geschrieben haben, man kann nicht sagen, dass nur eine Frau so schreibt.

Es war kalt, heißt es bei Hemingway, aber Liz war heiß am ganzen Körper, weil sie mit Jim war. Sie setzten sich in den Schutz des Speichers, und Jim zog Liz dicht an sich. Sie hatte Angst. Eine von Jims Händen schlüpfte in ihr Kleid und streichelte über ihre Brust, und die andere Hand war in ihrem Schoß. Sie bekam einen großen Schreck und wusste nicht, was er weiter tun würde, aber sie kuschelte sich eng an ihn. (E. H., S. 79) Man wundert sich, wieso ein Satz wie „Sie hatte Angst“ oder „Sie bekam einen großen Schereck“, der an anderer Textstelle schon formuliert ist, hier noch einmal wirken kann. Die Antwort lautet: Schichtung! Die Sätze von Hemingway kommen von weit her. Sie setzen eine ausführliche Schilderung voraus, die im poetischen Endtext nur zitiert wird. Diese tief greifende Ökonomie des Schreibens wird von kunstideologisch gedrückten Autoren und Autorinnen nicht mehr geübt. Sie wollen auf einer einzigen Ebene formulieren, um … für wen? für den Leser? … transparent zu sein. Damit berauben sie sich der Poesie der ganz schlichten Formulierung und mit ihr der Darstellung eines so unvermischten Gefühles wie der süß – verrückten und wehmütigen Liebe ohne Geilheit (das Gefühl noch ehe der Sex beginnt).

Liebespaar

Auch Ulrike Draesner setzt das narrative Element durch. Ihre Erzählerstimme garantiert die Großform der Erzählung, doch sie leistet sich viele Kommentarsätze, von denen nicht wenige wie die Zwischenrufe einer zweiten Stimme wirken. Das untersagt dem Text jedwede Stimmung. Torge würde ihren Morgensex mit Marius riechen, aber nicht wissen, was er roch. Er selbst hatte keine Chance; träge waren seine Spermien in der Nährlösung im Kreis geschwommen. Natürlich hatte sie es ihm gegenüber ´schnell´ genannt. Gina legte sich nach unten. Es war schön, das eigene Bett zu spüren und sich nicht anzustrengen, weil der Körper von selber wusste, wie es mit diesem Mann am besten ging. (U.D., S. 142) Die Autorin hat eine präzise Sprache und sie kontrolliert auch den Raum ihrer Erzählung, doch ihre multiple Stimme erweckt beim genauen Leser, der Wort für Wort abgrast, einen latent wirren Eindruck. Halb lächerlich ist es, wenn z.B. die eine Stimme eine Aktion im Gestus der Gleichgültigkeit mitteilt („Torge würde ihren Morgensex… riechen“), während die andere im Gestus der Beflissenheit spricht („Natürlich hatte sie es ihm gegenüber ´schnell´ genannt.“)

Wer mit einer einzigen Stimme spricht, muss nicht mehrere Stimmen koordinieren. Jim schlief. Er wollte sich nicht rühren. Sie arbeitete sich unter ihm hervor und setzte sich auf und zog ihren Rock und ihren Mantel zurecht und versuchte, ihr Haar in Ordnung zu bringen. Jim schlief und hatte den Mund ein wenig geöffnet. Liz neigte sich hinüber und küsste ihn auf die Backe. Er schlief immer noch. Sie hob seinen Kopf ein wenig und schüttelte ihn. Er drehte den Kopf zur Seite und schluckte. Liz begann zu weinen. Sie ging hinüber bis ans Ende des Anlegeplatzes und sah ins Wasser hinab. (E.H., S. 79 f.) Das Zarte und Süße der Empfindungen, durch Vorgänge, nicht durch Kommentare mitgeteilt, das Weglassen des physisch – biologischen Ablaufes, und die wenigen Wörter, die gesprochen werden, erhielten erstmals einen poetischen Ausdruck.

Auch Ulrike Draesner hat einen neuen Inhalt präsentiert. Ihre coole Biologin vergleicht den Koitus von Fledermäusen mit dem von Menschen und stellt sich dabei für Selbstversuche zur Verfügung. Sie wird gegen Schluss der Erzählung satirisch distanziert. Auf dem kleinen, künstlichen See im Park hielt Gina an, das Gras knirschte vor Trockenheit, als sie sich setzte. Ihre Muschi tat weh. Vom anderen Ufer klang ein Glöckchen, Enten paddelten vorbei, Erpel hinten, Ente voran. Sie sahen zufrieden aus. Im Hintergrund summte die Stadt. (U.D., S. 143 f.) Die Autorin stellt Fledermäuse mit den Beischläfern ihrer Heldin in eine Reihe und zwingt dadurch den Leser zur Aufklärung eines Rätsels. Der Leser überwindet diese gewollte Desinformation und wird trotzdem nicht durch die Entfaltung einer interessanten und wirklich neuen Heldin belohnt. Diese Kurzgeschichte voll mit präzisen Sätzen konnte kein Meisterstück werden, weil das Löschen der Erzählerstimme durch eine kalte und abgerissene Werbesprache zu oft erfolgt ist. Ein Erzähltext, der mit mehreren Stimmen spricht, arbeitet gegen die Narration an. Er erzählt und versucht gleichzeitig, die Begierde von Jemandem zu befriedigen, der sich auf keinen Fall etwas erzählen lässt.

© M.Luksan, Juni 2016

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