DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
  STARTSEITE


Die strapazierte Schule

Durch die bloße Macht des Prüfens und Notengebens pflegte um 1963 ein Lehrer alle möglichen Probleme mit seinen Schülern mühelos zu unterdrücken. Um 1993 bemühte sich jeder Lehrer, zu sagen, dass jeder Schüler irgendwo ein Talent aufwiese und die Note 5 wenn möglich nicht gegeben werde. Die Lehrer, die Methoden und die ganze Pädagogik veränderten sich völlig innerhalb von dreißig Jahren. Hier trifft ein Wort von Konrad Paul Liessmann ins Schwarze, dass der heutige Bildungsexperte an die Unvermeidlichkeit des Kreativen fanatisch glaubt, die es nicht erlaubt, sich vorzustellen, dass es jemanden geben könnte, der weder kreativ ist noch kreativ sein will.¹ Das ist für die österreichische Schule ganz neu. Warum aber richtet ein „Superpädagoge“ wie etwa Andreas Salcher seine Forderungen nur an öffentliche Schulen? Er verlangt seine Entfesselung der Kreativität und Entwicklung der besten Köpfe vor allem von der Mittelschule, als ob nur dort das Talent hervortritt und dort entwickelt werden soll.
In der Mittelschule von 1963 war die Angst vor der Prüfung und dem Zeugnis so groß, dass jeder Schüler, egal ob gut oder schlecht, brav oder schlimm, seinen Gebrauch von Freizeit und sein Sozialleben dem Lernen für die Schule unterordnete. Die Schule selbst prüfte in den Hauptfächern unerbittlich ab, egal ob der Betreffende musisch oder sprachlich hoch begabt war. Umgekehrt konnte ein Mathematisch-Begabter durch sein Fremdsprachen - Manko gleichsam vernichtet werden. Diese Stätte des Leistungs-Checks und der Ausgliederung von „Minderleistern“ war zugleich ein Ort des unguten Wettbewerbs, wo der Einzelne früh lernte, jedwede Solidarität mit anderen in sich zu unterdrücken. Diese Schule war unmöglich und wurde an ein psychologisch flexibleres Zeitalter irgendwie angepasst.

Der neuen Schule liegt das Rousseau´ sche Erziehungsmodell zugrunde. Der Schüler darf sich als Meister fühlen, wird aber dafür nach Strich und Faden manipuliert. Das passt angeblich zur narzisstischen Grundstimmung einer Generation, der man schon im Kindergarten die vage Großartigkeit bestätigt. Die Kinder werden psychologisch „aufgebaut“, das ist vielleicht nicht schlecht. Es kommt aber ein zweiter Gedanke von Rousseau zur Anwendung, der zugleich ein uraltes Vorurteil ist: das kreative Baby, die Gleichheit der menschlichen Anlagen. Manfred Prisching hat die Auswirkung dieses Gedankens als eine verbreitete Lehrer-Mentalität beschrieben: Wir sind doch alle gleich, jeder ist qualifiziert, jeder weiß etwas, was auch immer, und jede Meinung ist gleich viel wert (…) Das Ganze landet dann dort, wo es konfliktlösend landen soll: bei guten Noten. Die Noten werden besser, die Leistungen schlechter

Die strapazierte Schule

So hat die alte Schule Selbstbewusstsein zerstört, wenn sie den normalen Entwicklungsgang eines Schülers bei Nicht-Entsprechung in zwei Fächern blockiert hat. Und die neue Schule greift die Genauigkeit und Solidität des Lernens an, wenn sie das Verhältnis von Lehrern und Schülern absurd gestaltet und die fachlichen Anforderungen zu sehr herabsetzt. Nun kommt der Superpädagoge daher und lässt bei all seinen Einfällen die Grundaufgabe der öffentlichen Schule vergessen, dass sie primär an der Normalität arbeitet, an der Herbeiführung und Sicherung von Durchschnittlichkeit von Bildungswissen und Kulturfähigkeiten. Aus sehr weiten Bereichen erheben sich Begabungen. Die Schule darf nichts abtöten, aber sie kann und soll auch nichts weiter entwickeln. Sie ist nur die öffentliche Schule.
Dann soll es Superpädagogen geben, die nicht nur die Talenteförderung im Sinn haben, sondern auch der Familie und der Wirtschaft dabei helfen wollen, ureigene Defizite den Schulen hinzuschieben. Die Familie, in der niemand mit dem Kind lernen kann und will, der Betrieb, der sich die Lehrlingsausbildung in jedem Fall ersparen möchte, und der Konzern, der die eigene Forschungsabteilung auflässt und sie an der Hochschule wieder finden will, sind dann ein eigenes Kapitel.


¹ Konrad Paul Liessmann, Die Bildungsexperten, In: Der Standard/Album, 13.9.2014
² Manfred Prisching, Das Selbst Die Maske Der Bluff, Wien 2009, S. 130

zurück