DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Der manipulierte Raum des Heiligen

Kap. 1 aus „Der verordnete Mythos“

In den Religionen der Antike blieb der größte oder wichtigste Teil des Großen Wesens den Gläubigen verborgen. Das Mysterium war der Hintergrund für die kurze Zeit des Ritus (oder des Messopfers), aber auch für das alltägliche Leben. Die Menschen lebten vom geheimen Heilsleben getrennt, doch sogenannte "heilige Männer" erinnerten sie an das essentielle Leben permanent. Die "heiligen Männer" waren ein wenig in der Rolle des Papstes, sie kündeten von der Unsterblichkeit, starben aber selber. Der Rest der Menschen Fey, Dollfuss und Innitzer 1933fürchtete sich und neigte sich vor den Personen, Tieren und Zeichen des sakralen Raumes, in Ehrfurcht und Bewunderung. Der sakrale Raum war im Unterschied zum profanen durch die Überlagerung ganz verschiedener Verhaltensweisen charakterisiert. Vor allem waren religiöser Ritus und künstlerische Darbietung überlagert. Der sakrale Bereich war der Raum des physischen Beieinanderseins der Gläubigen an einem künstlerisch gestalteten Ort zum Zwecke religiöser Verrichtung. Dort wo der Ritus (oder das Messopfer) verrichtet wurde, ist nun auch der Ursprung jenes Verdichtungsfeldes zu suchen, wo das Daseinsgefühl des Einzelnen durch seine bloße Anwesenheit eine Steigerung erfährt (die Öffentlichkeit).

In einer theologisch so einfallsreichen Religion wie dem Christentum wurde der Bereich des Sakralen besonders oft verändert. Die Zahl der Wunder und die Zahl der Heiligen blieben auf die Zeit der Epiphania nicht beschränkt. Wunder und Heilige wuchsen Jahrhundert für Jahrhundert an, wobei sie nur manchmal von der naiven Volksfrömmigkeit künden, stets aber von den Anstrengungen der Kirche, den gerade nachlassenden Glauben wieder zu intensivieren. Die Zeit der Kirchenväter, das Hochmittelalter und das Barock Klerus marschiert 1933 zeigen massive Bemühungen der Großen Kirche, die vom Rückfall ins Heidentum, von Ketzerei oder von Glaubensspaltung erfassten Bevölkerungen wieder auf die gewünschten Vorstellungen und Praktiken zu vereidigen. Diese Kräftigung des Glaubens als erster Schritt zur Herstellung des einheitlichen Glaubens war die primäre Funktion des Wunders. Die Heiligen waren in erster Linie die Märtyrer, die dem Vorbild von Jesus Christus nacheiferten. Als "Blutzeugen" bezeugten sie durch das freiwillige und freudige Weggeben ihres Lebens die Gegenwart und die Macht Gottes. Zu ihnen traten die Bekenner hinzu, die ihre Bedrängnis überlebten und mit etwas weniger Glanz aus dem Leben schieden. Zur seelischen Kraft der Märtyrer hatte sich die Kraft des Gottessohnes gesellt, nach animistischer Fantasie. Jesus Christus war in ihnen gewesen und hatte gemeinsam mit ihnen gekämpft. Dann war der Tod eingetreten, der aber in ihrem Fall gleich zum "ewigen Leben" geführt hatte. Märtyrer haben den angenehmen Vorteil, nicht bis zum Jüngsten Tag warten zu müssen, um bei Gott zu sein. Da kein Märtyrer denkbar ist, der seine Aufopferung nicht freudig durchführt, muss man das Wort "Märtyrer" in einer Messe korrekt verwenden. Diese Korrektheit vergaß Wilhelm Miklas, der österreichische Bundespräsident, als er im Februar 1934 die gefallenen Polizisten als "Märtyrer" bezeichnete, die sich für ihren Kampf bei den Gemeindebauten einen "himmlischen Lohn" erworben hätten.

Miklas vor dem Rathaus

Die Märtyrer galten als die besten Fürsprecher bei Gott und ihre Überreste (reliquiae) galten als Beweis, dass sie wirklich gelebt hatten. Sie waren im Mittelalter eine so große Sensation, dass der bloße Anblick eines Knochens oder einer "Berührungsreliquie" (Kleidungsstück, Marterwerkzeug etc.) beim Gläubigen einen Wirklichkeits-Schauer hervorrief. Die Gräber der Märtyrer waren ursprünglich über das ganze Römische Reich ausgebreitet. Eine Messe zu Ehren eines Heiligen in Rom wies ein Manko auf, wenn bekannt war, dass sich die Reliquie in Kleinasien befand. So erklärt sich die "Translation", die Überführung zum Beispiel zweier Märtyrer 368 nach Mailand, nur damit sie der dortige Bischof Ambrosius in seinem eigenen Machtbereich bestatten (und ausstellen) konnte. Die ursprünglich erste Begräbnisstätte wurde dadurch gelöscht.

Die an der Reichsidee und am Gottesgnadentum festhaltenden Habsburger wurden länger als jede andere Dynastie durch die Große Kirche legitimiert. Sie setzten die katholische Kirche als Staatskirche ein und disziplinierten mit ihrer Hilfe die österreichischen Bevölkerungen politisch und religiös. Sie verhinderten protestantische Minderheiten, republikanische Stadtkulturen und einen starken Dritten Stand. An die mittelalterlichen Traditionen, die im 16. Jahrhundert gebrochen worden waren, wurde im 17. Jahrhundert wieder angeknüpft. Sie wurden im Spätbarock als die Öffentlichkeit des Monarchen und als die Öffentlichkeit der Priester sogar ausgeweitet. Bestimmte Formen der Kultur und der Politik wurden in den Einflussgebieten der Habsburger mit ihren ausgedehnten Sakralbereichen nicht geduldet; es entstanden große Kulturen für das Auge und für das musikalische Ohr, aber keine schriftsprachlichen Kulturen von großem Wert.

Die Wunder und die Heiligen wurden manipuliert wie Propaganda eingeführt. Die Madonna von Pötsch wurde aus Ungarn in den Wiener Stephansdom verpflanzt, den Feldprediger Marco d' Aviano wollte man schon zu Lebzeiten heilig sprechen. Die Frontappell 1936kirchlichen Multiplikatoren, die in Schulen und in Hochschulen für die Entwicklung des Heiligenkults ausgebildet wurden, kontrollierten die Köpfe der Menschen durch ständige Behauptung von Wundern. Die Linderung einer Gelenkskrankheit war ein Wunder, die Schlacht bei Zenta war ein Wunder usw. Der Wunderglaube zur Zeit der Türkenkriege war etwas Festeres als der Märtyrerzauber des Ständestaates. Um 1700 war der Glaube eine Überzeugung in den meisten Köpfen und durch das gesprochene Wort der Priester in den Kirchen gut verbreitet. Der österreichische Ständestaat wollte an das barocke Zwangssystem anknüpfen, er täuschte aber die Verkirchlichung der Massen und die Frömmigkeit des Staates nur vor. Er erfasste nur eine Minderheit der Bevölkerung, wurde nicht von allen wichtigen Gruppen der Bevölkerung getragen. Außerdem war seine Indienstnahme von Theater, Kunst, Literatur, Architektur und Musik für katholische Botschaften ungewöhnlich reizlos.