DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Persönlichkeit ohne Umriß

Über die Selbstbeschreibung von Tex Rubinowitz
(Sein Essay ist in „Der Standard“ vom 3.12.2011 erschienen)


Der Autor und Cartoonist Rubinowitz hat das Alter von 50 Jahren erreicht und verspürt das Gefühl von Umsonst. Er lässt im Artikel aber keine Schwermut entstehen, sondern stellt nur eine Liste von Trauernden und Leidgeprüften an den Anfang, die ein journalistischer Bekannter von ihm, der noch cooler ist als er, als wasserdicht bezeichnet. Tex, Sie fahren da wirklich schweres Geschütz auf, aber mich beschleicht der Verdacht, Sie haben genussvoll und mühsam zugleich so lange gesucht, bis Sie diese dramatische Reihe wasserdicht gekriegt haben. Rubinowitz akzeptiert das gesuchte Wort für seine Aufzählung, obwohl er den Ausdruck Goldig für die Platzierung der Berliner Mauer in seiner Liste nicht richtig findet. Unter seinen journalistischen Bekannten darf Rubinowitz davon ausgehen, dass seine Aufzählung nicht als Anhäufung von Kraut und Rüben gesehen wird, sondern als Ballung von Schwermut und Trübsal.

Obwohl er das nicht explizit sagt, ordnet sich der 50 jährige in eine Reihe von Leif Garrett über Boy George, Kathi Outinen und Jeffrey Dahmer bis Lady Di und Eddy Murphy ein. Er würde zwar nicht auf eine innere Verwandtschaft mit diesen Personen bestehen, seinen eigenen 50 Jahren aber die gleiche Mehrdeutigkeit zuschreiben. Diese schöne (für Rubinowitz: schöne) Unklarheit entsteht hier durch den großen Abstand von der Normalität, durch Lichtspiegelungen in der Öffentlichkeit und durch das unausweichliche, aber tapfer ertragene Leid. Mit diesen Merkmalen eines Menschlebens meldet der Autor einen Anspruch an, den der ganze Artikel so beharrlich ausströmt wie ein frisch geduschter Alkoholiker seine Schnapsfahne. Im Vordergrund wirkt die Nüchternheit: Ich hasse Geburtstage, nein, hassen ist zu viel der Ehre, sie sind nur einfach lästig, vor allem sogenannte runde, aber ich kokettiere gerne mit ihnen, wie kann man einen Geburtstag ernst nehmen, wie sich feiern lassen, für was? Was ist die Leistung? Dass man bis jetzt so einigermaßen über die Runden gekommen ist? Na, vielen Dank.

Große Subjektivität breitet sich nicht nur langweilig, sondern auch mit Zwischentönen aus. Und das ist auch manchmal die größte Poesie, wenn permanente Spontaneität eine Form erhält. Doch Rubinowitz wollte über die Kürze und die Sinnlosigkeit des Lebens etwas mitteilen und nicht etwa nur ein Schnaufen und einen Händedruck in schöner Form übermitteln. Seine Mitteilung, die man auf Sachverhalte beziehen kann, liegt aber immer wieder flach am Boden und ein kindliches Gerede richtet sich stattdessen auf: Da ziehe ich die Verantwortung, die ich meinen Fingernägeln und Ohrenhaaren gegenüber habe, vor, wenn ich sie regelmäßig schneide, oder den Blattpflanzen, indem ich sie füttere und mit ihnen spreche und an ihnen nasche, sind ja auch Lebewesen, brauchen ja auch Zuspruch, und eine Blattpflanze kommt nicht in die Pubertät.

Sein Text mit dem Titel „Schwermut der Übermüdeten“ zeigt zwar Spuren von Trauer, aber nirgendwo die große Mattheit des erwachsenen Mannes. Einerseits hat der Autor die Geschlechtsreife schon erreicht, die schöne Stelle, wo er mit dem illusionslosen GV den geheuchelten Sexualgenuss scharf in Frage stellt, sechzigsekündiges, egoistisches Aufeinandergeklatsche, bei dem sich zwei entfernte Gesichter erstaunt anstarren wie sterbende Karpfen, andererseits liegt das Kind in ihm ständig auf der Lauer. Auch bei einer Liste gegen Ende des Textes wird er von kindlichen Einfällen überrollt, die gleichzeitig journalistische Einfälle sind: Guido Westerwelle, Dr. Alfred Dorfer, Ingo Lenßen, Susanne Riess-Passer, The Edge, James Gandolfini, Dietmar Bär, Lothar Matthäus, Dirk Bach, Pasi Rautiainen, Nadja Comaneci (…) und Ilham Aliyev, der amtierende Präsident Aserbaidschans, er wird am Heiligabend 50 und sieht aus wie Goofy, der Freund von Mickey Mouse.

Das Bewusstsein von Rubinowitz ist scharf, er durchschaut den vorgespielten Essgenuss genauso wie den mythisch berichteten Sex, aber das schlägt sich in der Form des Artikels nicht nieder. Er vermeidet stets den kürzesten Weg der Mitteilung, als befürchtete er, für zwei lachsfarbene DIN A3 Seiten nicht genügend Text zu haben. Sein Text hat auch durchaus eine Struktur: Am Montag, dem 5. Dezember, werde ich fünfzig Jahre alt (…) Ich hasse Geburtstage (…) Gut, es gibt sinnlosere Feste (…) Wozu Altersangabe? (…) Und jetzt? Doch zwischen den gliedernden Teilen plappert die Sprache, die der Zufallsgenerator herbeigewirbelt hat. Rubinowitz hat vielleicht das Leben, aber nicht das Schreiben durchschaut. Das Leben hat in der Tat keinen Sinn, die Lust hält sich in Grenzen und der Tod hat schon an die Tür geklopft. Der Autor mag darüber nicht vernünftig nachdenken. Er mag auch die Sachverhalte nicht poetisch packen. Er wählt eine dritte Form, die man die „Zerschreibung des Inneren“ nennen könnte. Alles was ihm einfällt, kommt hintereinander aufs Papier und wird durch etwas Rhythmus und Akustik geformt.
Als Leser würde man gerne wissen, ob es Gründe für den starken Stolz von Rubinowitz gibt. In diesem extrem subjektiven Text wird gegen mehrere soziale Normen in der Art der „fröhlichen Wissenschaft“ verstoßen. Das fällt nur einem sehr stolzen Menschen relativ leicht. Er hat interessante Eigenschaften, wird aber als ganze Persönlichkeit nicht deutlich. Ich esse auch nichts Besonderes, nur nach nichts schmeckende, vollkommen unraffinierte Speisen, oben geht´s rein, unten geht´s raus, warum soll man das verbrämen oder zelebrieren, was haben die Darmzotten davon? Den Darmzotten ist´s egal, aber dem Esser nicht.

Rubinowitz hat wichtige Ansichten von sich selber weggelassen. Zu einem Selbstbild gehören ja nicht nur der Widerwille gegen Feiertage, rote Augen und das Fehlen der Rubinowitzrechten Hand, sondern auch ein paar Gründe für die Lieblosigkeit des Autors. Die ersten 16 Lebensjahre, die er gerne abziehen möchte, fehlen wirklich. Was ist damals passiert? - Solche nahe liegenden Erklärungen darf der Leser von ihm nicht erwarten, dieser erfährt auch nicht den Grund für die kaputte Hand. Die Amputation der Hand könnte eine getürkte Nachricht sein, durch die der Autor seinen Leser – warum eigentlich? - desinformiert. Wenn ja, so wäre die Leserfreundlichkeit auch in diesem Sinn nicht gegeben. Rubinowitz, der mit seinen Gefühlen richtig liegt, kann im Rahmen eines schreibbaren Textes aus seinen Einfällen nicht auswählen, seine Subjektivität nicht einschränken. Um den Artikel irgendwie zu schließen, formuliert er am Schluss hochgradig absurde Worte: Und da stehe ich ungefähr in der Mitte zwischen ihm (gemeint ist der 108 jährige Johannes Heesters) und dem Studenten. Und das ist doch ein ganz kommodes, warmes Plätzchen, zu dem ich mir selbst gratulieren möchte und von wo aus ich alle ehrlichen Menschen in einer gerechten Welt grüße. - Der Zeichner Rubinowitz macht witzige Cartoons. Die Simpsons sind sein Vorbild.


Rubinowitz

Cartoon von Rubinowitz

 


Martin Luksan, Dezember 2011