DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Die Pseudo-Gleichheit des modernen Künstlers

Jakob Alt, der Vater von Rudolf von Alt, zeigt den Blick gegen Wien – Dornbach aus seinem Atelier. Er „fälscht“ dabei ein wenig die Landschaft in seinem Fenster. Dafür schafft er große Dichtigkeit hinter den Blumentöpfen am Fensterbrett, zumal er im Vordergrund fast lauter bekannte Objekte angeordnet hat, bekannt schon 1836. Ganz nebenbei geht sein Bild über die Botschaft „Stadtrand, vom Atelier aus gesehen“ glatt hinaus, weil die Komposition eine Pointe birgt. Der Betrachter sieht das Bild der Natur, aber er sieht nicht das Bild auf der Staffelei.

Arnulf Rainer war rascher mit seinen Bildern fertig. Wir sehen ihn 1968, zu einem Zeitpunkt, als er schon einen Teil seiner Selbstversuche (unter anderem mit „Blind Malen“) hinter sich hat, mürrisch - bedrückt vor zwei Werken stehen. Sein Kopf weist über die Mittellinie des von Peter Baum geknipsten Fotos. Der Kopf und die Gestalt Rainers werten die Inhalte der Bilder auf, Rainer ist das Zentrum eines dritten Bildes, das außerhalb der gemalten Bilder besteht: der Künstler in Zivil zwischen schnell hin gemalten Unterarmen und Händen. Es ist dabei nebensächlich, ob der Maler oder der Fotograf das dritte Bild inszenierte, wichtig ist, dass die Gegenwart des Malers vor den Bildern die Ansicht des Gemalten pointiert. Rainer steht lebensunfroh und echt wirkend da und „bürgt“ für sein Werk. Man könnte auch sagen: Er gibt zu, dass die Bilder von ihm stammen. Diese Inszenierung ist witzig und ein echter Einfall, doch sie bedeutet, dass hier ein Werk nicht alleine stehen kann.

Das Bild von Alt ist hingegen so detailreich und schön, dass man unwillkürlich nach dem Künstler fragt: Wohnte er wirklich so? Stimmte die Vedute in diesem Fenster? Der Künstler wird offensichtlich dort, wo der Bildkosmos geschlossen ist, eher interessant, als dort, wo ein Bildfragment vorliegt. Und das Entzücken, das die Form der Kunst auslöst (im speziellen Fall kommt die Lieblichkeit des Themas hinzu), bezieht sich hier auf ein Werk, das man selber in keiner Weise erzeugen kann.

Auf Rainers besagten Bildern sind derart dürftige Fragmente verewigt, dass der Betrachter denkt: Das könnte ich auch!, und gerade diese Herausforderung ist beabsichtigt. Rainer hat Farbe und Pinselstriche so gewählt, als ob er wollte, dass ihm jeder nachfolgte, und hat gleichzeitig beide Bilder mit seiner lang gezogenen Signatur überdeutlich gezeichnet. Er zeigt so den Besitz seiner Bilder nach der Logik: Es ist vielleicht nichts dran, aber sie gehören mir! – Solche Werke finden naturgemäß kein Publikum, hier aber hängen sie in einer namhaften Galerie und der bereits mit Preisen überhäufte Künstler ist persönlich anwesend. Wahrscheinlich trat damals auch ein namhafter Kunstkritiker hervor und bezeichnete die beiden Bilder als „großes Wagnis“, wodurch er den Widerwillen des großen Publikums gegenüber solchen Bildern in Schranken wies. Das Publikum pflegt übrigens in solchen Fällen nicht „Schwindel“, sondern „Ich verstehe nichts von moderner Kunst“ zu sagen.

In der Kunstwelt wird ein Widerspruch installiert, wenn die nicht-elitäre Kunst des Arnulf Rainer, die im Grunde jeder andere auch machen kann, auf dem Genie von Rainer beruht, das das große Publikum nicht selbst erkennen kann. Nur ein paar maßgebliche Leute im Kunstbetrieb erkennen es und zwar mit dem Geniebegriff von 1900, der mit „Inspiration“, „Vision“ und „Innovation“ simpel verknüpft ist. Der große Unterschied zu 1900 ist der, dass das Genie von 1960 aus einer prinzipiell demokratisierten Kunst heraustritt. Jeder kann Kunst machen, aber nur ein paar Wenige wissen, was Kunst ist.

So enden unsere Überlegungen beim Thema der Bildung über Kunst und bei jenem anderen, das das Geld, die Kunstbörse und die Kunstöffentlichkeit sind. Das Nachdenken über einstige und heutige Wirkungen der Kunst ist ein wichtiger Teil der besagten Bildung. Zum Beispiel muss man wissen, dass bei den Themen „Grab“ und „Tod“ religiöse und künstlerische Momente – fast – zusammenfielen und dass diese Beinahe-Koinzidenz in der Abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts komisch strapaziert wurde. Es kam eine Kunst heraus, die nur noch ganz wenig leistete und dafür alle Bescheidenheit fahren ließ. Die Gleichheit der Menschen in der Kunst wurde und wird durch das Meinungsmonopol der wenigen über Kunst aufgehoben. Ein Netzwerk von Redakteuren, Künstlern, Museumsleuten, Sammlern, Händlern und Spekulanten ist dabei, jedem einzelnen zu sagen, wo der Zugang zur Kunst liegt. Sollte der einzelne ihn gefunden haben, weiß er noch immer nicht, wie die Preise zustande kommen, und hat das Geld nicht, sich ein modernes Kunstwerk seiner Wahl zu kaufen.

Jakob Alt, Blick aus dem Atelier des Kuenstlers, 1836   Arnulf Rainer, 1968
JakobAlt, Blick aus dem Atelier des Künstlers, 1836
 
Arnulf Rainer, 1968