DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
  STARTSEITE


Fünf Prinzipien der Fotografie

an Hand von Fotos von Ingrid Stanka

1. Die Perspektive (der Bildausschnitt, die Kameraposition) gibt am deutlichsten das Verhältnis des Fotografen zum Objekt wider. Oft tritt er ein paar Schritte zurück oder steigt er auf die ersten Sprossen einer Leiter, nicht um mehr Gegenstände ins Bild zu bekommen, sondern um seine Beziehung zum Objekt zu betonen. ZB. die Windmaschinen sind auf hohen Stangen angebracht, also nimmt er das stehende Maisfeld mit ins Bild. Er geht vielleicht sogar in die Knie, um die Höhe der Maispflanzen zu zeigen. Der Fotograf kann überlegen, ehrfurchtsvoll oder in Augenhöhe sein Objekt anschauen.

2. Das Bildobjekt enthält Details wie das Netz über dem Strohballen oder die Stange für den Eimer des Ziehbrunnens, die man entweder schon vergessen oder noch nie gesehen hat und die nun den Bildinhalt lebendig machen. Das heißt umgekehrt, dass ein Foto mit lauter sattsam bekannten Details respektive ohne echte Bildinformationen unlebendig wirkt. Ein Beispiel dafür sind die Ansichtskarten, die die Welt genauso zeigen, wie sie aus vielen, anderen Bildern schon bekannt ist.

3. Die Farbe eines Ackers, einer Wiese oder eines Himmels wird naturgetreu wider gegeben, wie im Bild vom Weinberg im Vordergrund und der braunen Scholle im Hintergrund. Es ist von Übel, wenn der Fotograf diese natür-lichen Farben ohne einen präzisen Sinn durch einen Filter verändert. Denn auch die natürliche Farbe ist eine Information. Der Fotograf im Wasser des flachen Sees, der schwarz wie ein Scherenschnitt ist, bedeutet deshalb keine Effekthascherei, weil das Objekt im Restlicht seine Farbe verliert. Der Mond als weißer Ball im dreifarbigen Claireobscur ist eine echte Information, weil einem die Farbabstufungen zu dieser Tageszeit nicht bewusst sind.

4. Das weiße Licht gilt als Nullinformation, insofern es nur über die Tageszeit etwas aussagt. Bei Farbbildern macht es weniger stark die Stimmung als bei Schwarzweißfotos. Mit Licht und Schatten arbeitete die alte Malerei, dann die Schwarzweißfotografie und schließlich noch einmal die Malerei. Das Gegenlicht im Kinofilm ist die künstliche Lichtquelle außerhalb des Filmbildes. Der Fotograf soll Gegenlicht nur verwenden, wenn er eine äußerste Künstlichkeit bewusst herbeiführen will. Das Licht auf Wasserlachen oder auf Glas und Metall hat die Fotografie um 1910, die noch geglaubt hat, sie müssen wie die Malerei arbeiten, maniriert vor Augen geführt.

5. Die größte Leistung eines Fotos ist das Punctum bei Porträts von Menschen oder Menschengruppen.Der Fotograf sieht einen Mann, der einen hohen Stapel mit leeren Kisten trägt, drückt aber noch nicht ab, sondern wartet bis eine Mutter mit Kind den Kistenträger erblickt. Sobald der verwunderte Gesichtsausdruck des Kindes zu sehen ist, drückt er ab und hat dadurch die Korrespondenz zweier Systeme im Bild, die ansonsten nebeneinander abgelaufen wären. Das Punctum kann bühnenartig inszeniert werden (Robert Doisneau, Leo Kandl), in der Regel ist es nur der Zufall, für den der Fotograf einen sechsten Sinn besitzt (Robert Capa, Henri Cartier Bresson). Bei Tierporträts ist das Punctum nurin abgeschwächter Form gegeben, weil die Mimik des Tieres geringer ausgeprägt ist als die des Menschen. Sonderformen des existentiellen Porträts findet man dort, wo der Fotograf in eine soziale Szene brutal hineinschießt (Weegee, Diane Arbus) oder wo er so lange geduldig wartet, bis sein Gegenüber das verheimlichte Innere durch Mimik oder Gestik endlich verrät (Foto: Barbara Pflaum, Porträt von Hans Weigel, Imagno).

Juni 2011, M. Luksan

zurück