DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

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Freie Meinung zu Libyen

Martin Luksan

ORF.at bietet eines dieser Foren, wo alle die, die die täglichen Nachrichten nicht stumpf oder achselzuckend über sich ergehen lassen, einmal deutlich zweifeln dürfen. Vor allem wer Nachrichten sammelt und sie vergleicht, kann leicht zu einer anderen Meinung kommen als die Meinungsmacher in den großen Medien. ORF.at fragt nach Gaddafi und erhält frische und freche Antworten, die oft vom heimischen Zynismus künden. Eben hörte man im ORF Radio eine Sendung mit halber Hochachtung vor Gaddafi, Tage später galten die Verhältnisse in seinem Land als „unerträglich“, eine Woche später raffte sich die UNO zu einer „Flugverbotszone“ über Libyen auf und jetzt fallen zielgenau die teuren Bomben auf die Truppen und Einrichtungen des Diktators.

Die Nachrichtensammler wollen sich nicht die Hucke voll schwatzen lassen von „humanitären Zwecken“, wenn diese nur die Nebensache sind und Nachrichten im Netz von den „Interessen“ der Alliierten handeln. Sie wissen fast so viel wie die Leitartikler nach Durchsicht ihrer Agenturtexte und kommen doch zu einem anderen Ergebnis und sprechen eine andere Sprache. ZB. ein Tag Militäreinsatz kostet sehr viel Geld, was aber keine Rolle spielt, denn „rüstung hat immer saison, und wenn’s Geld drucken und wir nix zum essen haben“ (frizzdog, 28.03.). Die Diskutanten auf der ORF-Plattform stellen unübliche Fragen, spitzen Gedanken zu und geben lakonische und radikale Antworten. Die Frage, wer die Rebellen sind, die man wegen ihrer Waffen nicht mehr „Demonstranten“ nennen kann, wird von den Diskutanten nicht beiseite gewischt wie von P.M. Lingens im „profil“, sondern in der Sprache des Volksmundes beantwortet: „die rebellen sind die gleichen gfraster wie der gaddafi“ (rasmuachl, 28.03.) Dass Frankreich ein führender Angreifer ist, wird als ungewöhnlich empfunden: „Frankreich ist auf Seite der ´Rebellen´„ (inventor, 28.03.)

Das Gros der Beiträge, zu dem der ORF ermuntert, zeigt eine Verärgerung über die fromme Berichterstattung, ohne die Zeitungen und die Sender bestimmter Absichten zu verdächtigen. In der Tat ist die Intervention von außen ein geringeres Problem als der umsichtige Chefredakteur, der fest an die Inserenten denkt, wenn er die eingelangten Artikel liest. Das Fehlen der Meinungsvielfalt in großen Medien ist den Email-Diskutanten ärgerlich bewusst: „investigativer Journalismus ist bei diesen korrupten dimensionen völlig ausgeschlossen… nur die bomben zählen, die wir zahlen“ (frizzdog, 28.03.) Der Redakteur von ORF.at hat das Pro und Kontra gut zusammengestellt. Die Internet-Diskutanten bilden Mehrheiten, sind aber nie einheitlich: „Welche Bomben der Willigen zahlen Sie?“ (sabre, 28.03.) Es bildet sich leicht eine Mehrheit: „Wir zahlen alle“ (inventor, 28.03.) Und: „wie wir bezahlen. Oder glaubt jemand, Frankreich, Italien und andere NATO-EU-Staaten können es sich leisten, ohne unsere EU Beiträge Krieg zu führen?“ (georgius, 28. 03.)

Die Beiträge sind lässig - nachlässig formuliert und oft auch voller Witz: „die NATO sorgt für die Aufklärung und schaltet die größeren Waffensysteme aus und irgend so ein Lawrence von Arabien wird am Boden die Rebellen kommandieren“ (achillesferse, 28.03.) Zynismus bietet sich als sprachliche Form an: „jetzt wird’s hoffentlich bald in syrien losgehen… Auch hier sollten die USA, die EU und die NATO aktiv werden, sonst ist der Libyeneinsatz eine Farce“ (lupoderwolf, 28.03.) Da es um ein medial vermitteltes und nur halb geglaubtes Ereignis geht, das man nicht selber überprüfen kann, kommt eine Grundbefindlichkeit des verunsicherten Nachrichten-Empfängers zur Sprache: „komme mir vor wie in einem Film, wo man nicht genau weiß, wer nun die Guten und wer die Bösen sind. Gaddafi scheint ja zu den Bösen zu gehören… sind aber seine Widersacher, die sogenannten Rebellen, automatisch die Guten?“ (vonbesondererseite, 28.03.)

Es geht nicht um Pro und Kontra Gaddafi, sondern um Pro und Kontra Berichterstattung. Niemand entdeckt eine bewusste Falschmeldung, doch fast jeder bemerkt ein Ungesagtes, das er mitteilt: „hier wird in erster linie der zugang zu erdöl gesichert.“ (smith, 29.03.) „aus welchen Gründen wirft man die Bomben denn ab?“ (anmo, 29.03.) „Totale Kontrolle über die ganze Region“ (xandl, 29.03.) „libyen liefert sehr viel öl in den westen, nun hat gaddafi gemeint, er würde sich mehr russland und china zuwenden und die bomben flogen“ (smith, 29.03.) Die Entdeckung der Nicht-Information löst beim Nicht- oder Halb-Informierten einen Ärger aus. Man ist verärgert, wenn man für dumm gehalten wird. Diese gleichsam „rationale“ Emotion wird in einer Öffentlichkeitskultur, die einem ständig zu wenig sagt, weil alle Autoritäten bestimmte Sachverhalte verschweigen und bestimmte Aspekte nie zur Sprache bringen, in eine ironische Reaktionsweise umgewandelt. Man stellt sich nicht mehr durch Empörung bloß, sondern löscht die Bedeutung des Anderen durch Spott: „Tja, wenn ein Friedensnobelpreisträger sein Militär schickt, geht es um Interessen.“ (blaualge, 29.03.)

Der Mensch will belehren, sagt der Katholik mit der Demutsmasche, und der bürgerliche Vornehmtuer sagt: Der kleine Mann will Schulmeister sein. Doch die Diskutanten auf ORF.at sind den klassischen Nörglern, aber auch den seriösen oder gar würdevollen Besserwissern fern. Gewiss wollen sie ihre Meinung sagen – aber in einer raschen, unverkrampften, unamtlichen Form. Zumindest die Teilnehmer am 28. und 29. März 2011 waren sich des geringen Gewichts ihrer Stimmen bewusst. Das hat ihre Statements beiläufig und ihren Zynismus rücksichtslos gemacht. Man hat kaum den Eindruck, dass auch ein Leitartikler so schreiben könnte: „wir wissen GAR nichts. Wir interpretieren und glauben, dass das Gedruckte die Wahrheit ist. Wessen Wahrheit, ist uns egal“ (elowin, 29.03.) „es wird doch wohl möglich sein, dass Claudia Haider einen Platz (für Gaddafi) im Bärental findet“ (sabre, 28.03.) „oder auf der saualm mit hubschrauberlandeplatz“ (also, 28.03.)

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